1
Häutung
Sie haben Termine.
Sie sind wer.
Meine Termine müsse ich
Dagegen streichen.
Allerdings
Arzttermine sind einzuhalten
Schon um der Krankheiten willen.
So sitze ich -mich kratzend- am Schreibtisch
Und spüre was mir aus den Poren dringt.
Betrachte mich und merke
Fasziennah lagert Offenbares:
Ramsch und Unrat der Jahre.
Man wird mir das Fell abziehen müssen.
(Anderer Fell gerben liegt mir nicht.)
Gut wäre sich häuten, Schlange werden.
Derartiger Nacktheit Mut aber fehlt mir.
Ideal wäre ein Schalentier-Dasein.
Schält sich, der Faulsack,
aus seinem Drachenblut- Panzer.
Rinde, Kruste, Schwarte und Borke,
oder doch Tünche, Verputz,
Maske, Dekoration, bloße Hülle?
Nichts Bleibendes.
Hätte ich doch die Fertigkeit
zu wechselnden Einbänden,
Schutzumschlägen aus Elefantenschwarte
Ich wäre in Sicherheit und
Schriebe keine Verse.
Kein Wort von Tragik,
Doch -
Athenes unbekannte Tochter -
erklär mir Liebe.
2
Kurts Fall
Das Sein, des Seins…
So eichern hart vom Hör- und Sagen;
und wär es deins
ging’s auch mir selber an den Kragen.
Doch die berühmten
Rebensäfte haben Gaben
die fallend küssend
uns den Magen laben.
Klar selbst im gröbsten Glase Weines
rollt weich der Tropfen
rührt sanfter mich als jede Art von Hopfen.
Und manchmal jauchzt ein E, ein kleines.
Ging je dies leise E dem Wein – endgültig und
vom dritten Falle abgeseh‘n - verloren
würd auch im Sein nichts Schönes mehr geboren.
(Geschrieben stand‘s in Kurts Grammatik:
Ein Genitiv entbehrt nicht der Dramatik.)
3
Mittwinter
Ein blauer schein
strömt aus meinen kleidern
mittwinters
klirrende tamburine aus eis
Ich schließe die augen
eine lautlose welt gibt es
darin einen spalt
da werden tote
über die grenze geschmuggelt.
4
Extrasystolen
Luftmuskeln
Ein Flimmern
Unter
der Zunge
zerfließt das
Fleisch im
schönsten
Vorsommer.
Meldungen aus
dunkler Zeit von
anderem Ort.
Ich lausche
hinüber -
diese Bläue
solcher Ton und
die Lücke
durch die
sickert
ein Übermaß an Erwartungen.
5
Yukon
Ich weiß:
du bist nur
Eis, Stein und Stille.
Du wirst über mich rollen,
wenn ich komme.
Du wirst mein Ende sein.
Was aber hast du in mich versenkt,
dass ich Haushund dich liebe?
Dich - in deiner Unerreichbarkeit ,
deiner viehischen Gleichgültigkeit -
unterm schillernden Licht der Schneekönigin!
Seit Kindertagen
rauscht dein Schweigen auf mich nieder.
Bist mein Sehnen, meine Furcht, mein
Schmerz des Vermissens.
Die Wolke über meiner Iris,
mal weiß, mal schwarz, nie grau.
Tödlichere Gefahr in tausend Nächten.
Wenn ich eines Jahres
auftauchen werde,
klein und ängstlich (leicht erkennbar)
wirst du von mir - ich weiß:
keine Notiz nehmen.
Aber ich werde mich schreiend in deine Arme werfen,
mich in dir auflösen, ein alter (schmutziger) Schneeballen,
ins Eismeer treiben,
die silbrig blaue Farbe deines Blutes annehmen,
auf deinen Grund sinken.
Eines Jahres, wenn …
wenn deine Einladung kommen sollte,
muss ich bereit sein,
werde nicht mehr zurückkönnen.
Ich warte.
Hoffentlich
bleibt mein Briefkasten leer.
6
-San Salvador
-Auf die Briefe
die mir der Freund schrieb
sollte er
keine Antworten erwarten.
Ich öffne die Couverts
und schüttle nur fremde Erde
aus den Falten.
-Die Marke zeigt vielleicht
San Salvador
doch das besonnene Wort
ist schon vor seiner Reise
verloren gegangen
-Ich rufe meine Nachrichten
zum Schweigen auf
damit ich selbst auch etwas habe
zum Wärmen
in kälteren Zeiten
-Seine Einladung, flüstre ich,
blieb im Treppenhaus stecken,
schiebe entnervt noch einmal
diese CD auf. Scarlatti.
Unter meinen Laken segeln wir
weit hinaus.
7
Spätes Gezeter
Wenn man Jahrzehnte lang versucht hat
ihn zum Schweigen zu bringen - tot oder lebendig
taucht er (nein, nicht wie aus dem Nichts) auf
und schreit Rache.
Schleift dich vor dein eig‘nes Tribunal
Macht dir den Prozess
keinen kurzen
falls du noch länger zu leben gedenkst.
Bitterböse über deine Bitterkeit
versetzt er dich, Schlafsucher, in einen
Wachzustand, dass dir das Herz verhüpft
Wieder und wieder - weit hinein bis
in den nächtlichen Dunst.
Doch es wird dir nur Tag sein .
Du möchtest verzweifelt
nach einem Weckruf lauschen -
da du irrst und suchst wo nichts ist;
süchtig nach Sätzen
nach Wörtern nach Silben
die deine Lebensgier glätten könnten.
Wenn du spät
trotz des Gelächters von weit oben
vergeblich in Worthalden wühlst
weißt du
- das große Wasser am Grund deiner Augen -
dass du allein bist am letzten Tag
und nach dem Chef schreist.
8
Alte Musik
András Schiff hören wie er Bach spielt
ohne Überstürzung
wandernd in großen gleichen Schritten.
An seiner Seite treibend
halte ich mit - offenen Auges blind – .
Vater – sein Bild in noch blasserer Ferne –
lässt‘s regnen über dem sommerlichen Fjord
Es pochen die Tropfen an meine Stirn
wo sie Säulen bauen aus Elfenknochen
mit Bögen still gerundet
darunter die Echos nicken.
Ihm hüpfen die Wellen zu hoch
Fast dass wir ersticken.
9
Glück im Unglück
Ein Reiher saß auf einem Stamme
und starrt‘ hinab zu seinem Kamme
der da in Teiches Tiefen lag
was jeden Tropf erleichtern mag.
Hier rüttelte ein Wels ihn ein
in tiefsten Modder, in
Stock und Gestein hinein
und trennte so für ewig
Kamm und Reiher.
Ein Glück für beide.
Mein Rat für alle Zeiten:
Meide
Wind und Weiher.